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2024

Turnen gestern und heute

Der Vergleich von zwei Massenübungen, welche am Eidgenössischen Turnfest (ETF), dargeboten werden, zeigt viel über die Geschichte des Turnens auf.

Auf dem ersten Bild von 1932 sieht man eine perfekte Synchronität, während das Bild von der Schlussveranstaltung von 2019 im Vergleich dazu eher Lockerheit und Farbenfröhlichkeit ausstrahlt.

Die Idee der Synchronität im Turnen entwickelte sich um die Jahrhundertwende: Stand in den Anfängen des Turnens das individuelle und unkoordinierte Bewegen im Vordergrund, hielt später die Disziplinierung Einzug. So schrieb 1867 die Turnzeitung: «Es ist noch viel zu thun, bis der leitende Vorturner seine unaufmerksamen Untergebenen nicht mehr an den Haaren zu den Geräthen herbeiziehen muss».

Das Kollektiv sollte fortan gegenüber dem Individuum betont werden, die «zum Ekel werdende Ich-Kultur» überwunden werden, indem auch gemeinsam und synchron geturnt wird. Folgerichtig heisst es im Festbericht zum ETF von 1925: «Ausgerichtet auf den Vordermann und den Nebenmann wird der Einzelne aufgehen in der Allgemeinheit.» Demonstriert sollte diese Einigkeit vor allem an der erwähnten Schlussveranstaltung werden, wobei das Turnen auch mit militärischen und patriotischen Aspekten verbunden wurde. Die turnerische Einigkeit sollte gleichzeitig also eine nationale Einigkeit demonstrieren, denn die Turnerbewegung war ein wichtiger Träger des Schweizerischen Bundesstaats von 1848 (inbesondere bei dessen Gründung). ‘Höhepunkt’ dieser Denkweise war die offizielle Bezeichnung der Turner im Jahre 1939 als «Weisse Armee» (weil im weissen Tenue geturnt werden musste), wodurch der Eidgenössische Turnverein dem Vorwurf ausgesetzt war, eine geistige Verwandtschaft zum Faschismus zu pflegen.

Die traditionellen Verbindungen zu Wehrbereitschaft und patriotischen Gefühlen blieben bis in die 1970er-Jahre bestehen, so wurden 1972 beispielsweise die Marschübungen und das einheitliche, weisse Tenue abgeschafft. Seither entwickelte sich gerade die Schlussveranstaltung zur Form, die wir heute kennen. Subtilen Widerstand gegen die offiziell verordnete Disziplin und Einheit gab es trotzdem schon früher: Die Turnzeitung berichtet 1897 von Teilnehmern beim Massenturnen, die absichtliche auf die Zehen stehen und herumgaffen, «anstatt in die Rumpfbeuge hinabzugehen».

Bilder aus: Archiv STV / Keystone