Männliche Ästhetik am Turnfest
Männliche Ästhetik auf der offiziellen Festkarte zum Eidg. Turnfest 1906 in Bern - ein nicht zu erfüllendes Ideal?
Turnen und Sport widerspiegeln bis heute gesellschaftliche Rollenerwartungen. Werden diese gegenwärtig eher differenziert betrachtet oder gar hinterfragt, waren die Rollenverteilungen in den Anfängen des modernen Turnens und Sports eindeutig verteilt: Männer hatten stark und abgehärtet zu sein, Frauen hingegen wurden als verletzlich und emotional betrachtet. Gerade in der Turnbewegung wurden die ‘männlichen’ Tugenden in Verbindung mit Wehrhaftigkeit und Staatsbürgertum hochgehalten, so schrieb der Turner und Offizier Georg Kiefer-Bär im Jahre 1907:
"Hitze und Frost, Mühe und Arbeit lernt der Turner spielend ertragen; der Gefahr ins Auge schauen, haben schon manche durchs Turnen erlernt; der Turner ist seiner Kraft sich bewusst, er wird solche nicht unter-, noch viel weniger überschätzen. Das sind Edelsteine, welche ich seiner Zeit durch Turnen theilweise erobert habe, deren ich mich gerne rühme."
In der alltäglichen Praxis stiessen solch von den Verbandsoffiziellen definierte Wertvorstellungen aber an ihre Grenzen. Es gibt unzählige Quellen, die von 'undisziplinierten' Turnfestteilnehmern berichten, welche stark alkoholisiert waren, Frauen belästigten, kindische Kostüme trugen oder die Nachtruhe störten. Passend dazu zeigt Bild 2 eine humoristische Abänderung der offiziellen Festkarte von 1906: Statt eines durchtrainierten und disziplinierten Turners wird ein feuchtfröhlicher und etwas rundlicher Turner gezeigt, der die Schweizer Flagge als Sonnenschutz nutzt.